Deutschland seit 1945
Wahlen in der DDR
Mandatsverteilung der ehemaligen Volkskammerabgeordneten im XI. Bundestag am 03.10.1990

Art. 42 des Einigungsvertrags sah für die parlamentarische Vertretung des Beitrittsgebiet bis zur Wahl eines gesamtdeutschen Bundestags dies vor:
(1) Vor dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik wählt die Volkskammer auf der Grundlage ihrer Zusammensetzung 144 Abgeordnete zur Entsendung in den 11. Deutschen Bundestag sowie eine ausreichende Anzahl von Ersatzpersonen. Entsprechende Vorschläge machen die in der Volkskammer vertretenen Fraktionen und Gruppen.
(2) Die Gewählten erwerben die Mitgliedschaft im 11. Deutschen Bundestag aufgrund der Annahmeerklärung gegenüber dem Präsidenten der Volkskammer, jedoch erst mit Wirksamwerden des Beitritts. Der Präsident der Volkskammer übermittelt das Ergebnis der Wahl unter Beifügung der Annahmeerklärung unverzüglich dem Präsidenten des Deutschen Bundestages.
(3) Für die Wählbarkeit und den Verlust der Mitgliedschaft im 11. Deutschen Bundestag gelten im übrigen die Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1975 (BGBl. I S. 2325), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. August 1990 (BGBl. II S. 813). Scheidet ein Mitglied aus, so rückt die nächste Ersatzperson nach. Sie muß derselben Partei angehören wie das ausgeschiedene Mitglied zur Zeit seiner Wahl. Die Feststellung, wer als Ersatzperson nachrückt, trifft vor Wirksamwerden des Beitritts der Präsident der Volkskammer, danach der Präsident des Deutschen Bundestages.

Entsprechend fasste die X. Volkskammer auf ihrer 38. und letzten Sitzung am 28.9.1990 einen Beschluss, in dem sie die Verteilung von 144 Mandaten für den Bundestag festlegte. In dem Beschluss (Volkskammer-Drucksache X/251) wurden diese Mandate den Volkskammer-Abgeordneten nach ihrer Fraktionszugehörigkeit an diesem Tag so zugeteilt, wie in Tabelle 1 dargestellt. Die so gewählten Abgeordneten wurden am 3.10.1990 Mitglieder des Bundestags und konnten erstmals am 4.10.1990 an der 228. Sitzung des XI. Bundestags teilnehmen. Ihr Mandat endete bereits am 20.12.1990 mit dem Zusammentritt des XII. Bundestags, der aus den ersten gesamtdeutschen Wahlen am 2.12.1990 hervorgegangen war.

Tabelle 1: Mandatsverteilung für den Bundestag laut Drucksache 251 der X. Volkskammer
  PDS AVL B.90/Grüne SPD FDP CDU DSU Insgesamt
Ohne Zuordnung 23 1 7 4 9 3 - 47
Land Berlin - - - 6 - 2 1 9
Land Brandenburg - - - 6 - 8 1 15
Land Mecklenburg-Vorpommern - - - 4 - 7 1 12
Land Sachsen - - - 5 - - 3 8
Land Sachsen-Anhalt - - - 4 - 12 - 16
Land Thüringen - - - 4 - - 2 6
Wahlkreis Chemnitz - - - - - 7 - 7
Wahlkreis Dresden - - - - - 7 - 7
Wahlkreis Erfurt - - - - - 6 - 6
Wahlkreis Gera - - - - - 4 - 4
Wahlkreis Leipzig - - - - - 5 - 5
Wahlkreis Suhl - - - - - 2 - 2
Insgesamt 23 1 7 33 9 63 8 144

-AVL: Mandat erzielt auf dem Kontingent der PDS
-CDU: "ohne Zuordnung" je 1 Mandat für Vertreter der vormaligen DBD, DA und ehemaliges Mitglied der DSU-Fraktion in der Volkskammer; Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt: jeweils "Landesgruppe"
-SPD: "ohne Zuordnung" incl. 1 Mandat für Vertreter der vormaligen DBD

Im folgenden wird dokumentiert, wie diese Mandate sich unterm 28.9.1990 auf die fünf neuen Bundesländer und Berlin-Ost verteilt hätten. Dies lässt sich nicht direkt aus Drs. X/251 entnehmen, denn dort ordnete nur ein Teil der Volkskammer-Fraktionen ihre Mandate diesen Gebieten zu. Die insgesamt 144 Mandate für den Bundestag wurden jedoch im Verhältnis der Fraktionsstärken an diesem Tag nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren verteilt. Dies ist in Tabelle 2 dargestellt. In Anlehnung an das Mandatszuteilungsverfahren für den Bundestag wird diese Verteilung als sog. Oberverteilung angenommen.

Tabelle 2: Oberverteilung der Mandate der ehemaligen Volkskammerabgeordneten im Bundestag nach Volkskammer-Fraktionen am 28.09.1990 laut Hare-Niemeyer-Verfahren
  PDS AVL DFD B.90/Grüne SPD FDP CDU DSU Insgesamt
Mandate der Fraktionen in der Volkskammer am 28.09.1990 66 1 1 20 91 25 174 22 400
Hare-Niemeyer-Quoten und insgesamt zu verteilende Mandate 23,76 0,36 0,36 7,20 32,76 9,00 62,64 7,92 144
1. Schritt: Verteilung der Mandate aus ganzzahlig abgerundeten Quoten 23 0 0 7 32 9 62 7 140
Quotenreste und Restmandate 0,76 0,36 0,36 0,20 0,76 0,00 0,64 0,92 4
2. Schritt: Verteilung der Restmandate nach Rang der Quotenreste 1 0 0 0 1 0 1 1 4
Mandate insgesamt 24 0 0 7 33 9 63 8 144

Entlang dieser Oberverteilung wurde nun abermals das Hare-Niemeyer-Verfahren angewandt, um für jede Partei zu ermitteln, wie viele Mandate in den einzelnen Gebieten für sie angefallen wären. Grundlage dieser Unterverteilung waren, wie bei Bundestagswahlen nach dem damaligen Wahlrecht, die Stimmen für die Parteien in den einzelnen späteren Bundesländern und Berlin-Ost. Diese Stimmenzahlen wurden ermittelt, indem die Ergebnisse der Kreise, aus denen sich die späteren fünf neuen Bundesländer bei ihrer Gründung zusammensetzten, bundeslandweise addiert wurden. Für Berlin-Ost wurde das Ergebnis für den Volkskammer-Wahlkreis Berlin-Ost verwendet. Diese Stimmenzahlen sind für die Parteien, die in der Volkskammer mindestens ein Mandat erzielten, in Tabelle 3 dargestellt. Eine vollständige Darstellung auf Kreisebene für alle Parteien findet sich hier.

Tabelle 3: Stimmen bei der Wahl am 18.03.1990 in den späteren neuen Bundesländern und Berlin-Ost für die Parteien, die mindestens ein Mandat in der Volkskammer erzielten
  In der Volkskammer am 28.09.1990 vertretene Parteien   Nicht mehr vertretene Parteien   Insgesamt
  PDS AVL DFD B.90/Grüne SPD FDP CDU DSU   DBD DA NDPD    
Berlin-Ost 267834 2863 - 79643 308833 26591 161960 19733   4065 9032 1558   882112
Brandenburg 335822 3637 2763 99304 548912 86188 615975 61001   51678 13869 8392   1827541
Mecklenburg-Vorpommern 305123 2218 5193 58463 313020 47981 486038 31947 65422 8152 6849 1330406
Sachsen 472037 5348 13955 163654 522580 197644 1506832 454298   65274 32282 13711   3447615
Sachsen-Anhalt 293605 3410 9402 83233 496606 161580 933276 50393 37696 12650 7351 2089202
Thüringen 217960 2866 6879 78709 335583 88951 1006517 110358   27091 30161 6431   1911506
Insgesamt 1892381 20342 38192 563006 2525534 608935 4710598 727730   251226 106146 44292   11488382

Entlang der Stimmen in Tabelle 3 wurde nun parteiweise die Unterverteilung berechnet. Das ist für das Beispiel der PDS in Tabelle 4 dargestellt.

Tabelle 4: Unterverteilung am Beispiel der Mandate für die PDS
  Quote 1. Schritt Rest 2. Schritt Verteilung
Berlin-Ost 3,40 3 0,40 0 3
Brandenburg 4,26 4 0,26 0 4
Mecklenburg-Vorpommern 3,87 3 0,87 1 4
Sachsen 5,99 5 0,99 1 6
Sachsen-Anhalt 3,72 3 0,72 1 4
Thüringen 2,76 2 0,76 1 3
Insgesamt 24 20 4 4 24

Bei der Berechnung der Unterverteilung waren etliche Eigenheiten zu beachten, die mit Besonderheiten der damaligen Situation zusammenhingen.
1) Zunächst hatte die PDS für ihr Kontingent laut Oberverteilung (24 Mandate) zugunsten des einzigen Abgeordneten der AVL auf ein Mandat verzichtet. In der Unterverteilung wurde dieses Mandat den PDS-Mandaten für Berlin-Ost zugewiesen, weil der AVL-Mandatsinhaber sein Volkskammer-Mandat im Wahlkreis Berlin-Ost erzielt hatte. 2) Etliche Parteien, die bei der Wahl zur Volkskammer Mandate erzielt hatten, existierten am 28.9.1990 nicht mehr und ihre Abgeordneten hatten sich anderen Fraktionen angeschlossen. Wenn sich alle Abgeordneten so einer Partei der Fraktion einer einzigen anderen Partei angeschlossen hatten, dann wurden die Stimmen der nicht mehr bestehenden Partei für die Unterverteilung den Stimmen der aufnehmenden Partei zugeordnet. Dies entspricht dem Vorgehen der Volkskammer bei der Oberverteilung (Tabellen 1 und 2), für die ebenfalls der Stand am 28.9.1990 (und nicht der Stand am 18.3.1990) berücksichtigt wurde. Dies betraf den DA (bei der CDU) und die NDPD (bei der FDP). Dieses Vorgehen führte zu keinem Unterschied bei der Unterverteilung im Vergleich zur Berechnung der Unterverteilung nur nach der Stimmenverteilung der aufnehmenden Parteien. 3) Die DBD bestand am 28.9.1990 ebenfalls nicht mehr. Von ihren neun Abgeordneten hatten sich vier der CDU, drei der SPD und zwei der FDP angeschlossen. Entsprechend wurden die Stimmen der DBD in den späteren Bundesländern im Verhältnis 4:3:2 diesen drei Parteien zugewiesen. Dieses Vorgehen führte zu keinem Unterschied bei der Unterverteilung im Vergleich zur Berechnung der Unterverteilung nur nach der Stimmenverteilung der aufnehmenden Parteien. 4) Schließlich hatten sich insgesamt drei der ursprünglich 25 DSU-Abgeordneten bis zum 28.9.1990 der CDU angeschlossen. Dies wurde nicht berücksichtigt, weil die DSU als Partei am 28.9.1990 noch bestand. So ergab sich die Unterverteilung nach Bundesländern, wie sie in Tabelle 5 dargestellt ist. Sie ist die Grundlage für die Angaben auf dieser Website zur Mandatsverteilung in den neuen Bundesländern, Berlin-Ost und Berlin am 3.10.1990.

Tabelle 5: Unterverteilung nach späteren Bundesländern für die Volkskammer-Fraktionen, auf die am 28.09.1990 Mandate im Bundestag entfielen
  PDS AVL DFD B.90/Grüne SPD FDP CDU DSU Insgesamt
Berlin-Ost 2 1 0 1 4 1 2 0 11
Brandenburg 4 0 0 1 7 1 8 1 22
Mecklenburg-Vorpommern 4 0 0 1 4 1 7 0 17
Sachsen 6 0 0 2 7 3 20 5 43
Sachsen-Anhalt 4 0 0 1 7 2 12 1 27
Thüringen 3 0 0 1 4 1 14 1 24
Insgesamt 23 1 0 7 33 9 63 8 144

CDU: das lt. Volkskammer-Drucksache 251 im Rahmen des CDU-Mandatskontingent angefallene Mandat für die DBD wäre in Mecklenburg-Vorpommern angefallen und hätte dort die CDU-Mandatszahl um 1 gesenkt; entsprechend hätte das Mandat für den DA, angefallen in Sachsen, dort die Mandatszahl um 1 gesenkt.

Quellenverzeichnis
Stimmenergebnisse
Wahlkommission der Deutschen Demokratischen Republik mit Unterstützung des Statistischen Amtes der Deutschen Demokratischen Republik und des Datenverarbeitungszentrum Berlin (Bearb.) 1990: Wahlen zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990. Endgültiges Ergebnis. Berlin: Datenverarbeitungszentrum Berlin. o.S.
Zusammensetzung der X. Volkskammer bis incl. 19.4.1990
Plenarprotokolle der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, X/1-3.
Fraktionswechsel in der X. Volkskammer bis incl. 28.9.1990
Fraktionswechsel wurden in den Plenarprotokollen und Drucksachen nicht dokumentiert. Daher wurden für die Darstellung der Wechsel einzelner Abgeordneten zwischen Fraktionen die Angaben in folgenden Quellen vergleichend verwendet:
-Bundesarchiv (Hrsg.) o.J.: Online-Dokumentation der Akten der Volkskammer (X. Wahlperiode); unter: http://startext.net-build.de:8080/barch/MidosaSEARCH/DA1-26809/index.htm; eingesehen am 15.5.2010.
-Schindler, Peter (Hrsg. für die Verwaltung des Deutschen Bundestages, Abteilung Wissenschaftliche Dienste, Referat Parlamentsgeschichtliche Dokumentation) 1999: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages: 1949 bis 1999. Baden-Baden: Nomos. S.3713ff.
-Zentrum für Historische Sozialforschung (Hrsg.) o.J.: Die Abgeordneten der 10. Volkskammer der DDR (VOLKPARL). Datenbank; unter: http://biosop.zhsf.uni-koeln.de/ParlamentarierPortal/volkskammer.htm; eingesehen am 15.5.2010.
-Müller-Enbergs, Helmut, Jan Wielgohs und Dieter Hoffmann (Hrsg.) 2000: Wer war wer in der DDR? Ein biographisches Lexikon. Berlin: Christoph-Links-Verlag.
Mandatsverteilung für den Bundestag
Beschluss der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zur Benennung von Abgeordneten zur Entsendung in den 11. Deutschen Bundestag vom 28.9.1990, Drucksache Nr. 251; in: Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, 10. Wahlperiode. Drucksachen, Bd. 36.

Zuletzt aktualisiert: 26.04.2014
Valentin Schröder
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