Wahl zur Nationalversammlung 1919
Bei der Wahl zur Nationalversammlung 1919 war das Wahlrecht allgemein, frei, gleich, geheim und direkt für alle mindestens 20-jährigen deutschen Staatsangehörigen, die nicht entmündigt, unter vorläufiger
Vormundschaft stehend und nicht der bürgerlichen Ehrenrechte durch Richterspruch verlustig waren. Aktive Soldaten waren ebenfalls wahlberechtigt. Das passive Wahlrecht hatte jeder aktiv Wahlberechtigte,
der seit mindestens einem Jahr deutscher Staatsangehöriger war. Für die Mandatsverteilung wurden die Mandate in insgesamt 38 Wahlkreisen nach Verhältniswahlrecht mit starren Listen ("Wahlvorschläge") vergeben.
Dafür wurde vo der Wahl jedem Wahlkreis eine bestimmte Anzahl von Mandaten zugeteilt. Auf je 150.000 Einwohner im Wahlkreis nach der Volkszählung vom 1.12.1910 entfiel dabei je ein
Mandat. Blieben danach mindestens 75.000 Einwohner unberücksicht, so wurde dem Wahlkreis ein weiteres Mandat zugeteilt. Die Verteilung dieser Mandate auf die
Wahlvorschläge erfolgte nach der Wahl nur innerhalb der einzelnen Wahlkreise nach dem Höchstzahlverfahren nach d'Hondt. Stimmen, auf die im Wahlkreis kein Mandat entfiel,
wurden nicht weiter berücksichtigt.
Im Wahlkreis 38 (Elsass-Lothringen) fand die Wahl nicht statt. In den Wahlkreisen 2 (Westpreußen) und 8 (Posen) fand die Wahl zwar statt, aber nicht im gesamten Gebiet dieser Wahlkreise
und weitgehend unter Verzicht der dortigen polnisch-stämmigen Bevölkerung auf eine Wahlteilnahme.
Wahl zu den Reichstagen 1920-1933
Ab der Wahl 1920 war das aktive Wahlrecht allgemein, frei, gleich, geheim und direkt für alle mindestens 20-jährigen deutschen Staatsangehörigen, die nicht entmündigt, unter
Vormundschaft oder Pflegschaft stehend und nicht der bürgerlichen Ehrenrechte durch Richterspruch verlustig waren. Es ruhte bei aktiven Soldaten (§§1, 2
Reichswahlgesetz). Das passive Wahlrecht hatte jeder Wahlberechtigte, der mindestens 25 Jahre alt und seit mindestens einem Jahr deutscher Staatsangehöriger war (§4
Reichswahlgesetz).
Die Mandatsverteilung erfolgte nach Verhältniswahlrecht mit starren Listen. Auf insgesamt drei rechnerischen Ebenen entfiel auf eine bestimmte Anzahl von Stimmen für eine Liste jeweils eine bestimmte
Anzahl von Mandaten ("automatische Methode"): Wahlkreise, Wahlkreisverbände und Reichsebene. Listen wurden für die Ebene des Wahlkreises ("Kreiswahlvorschlag") und des Reichs ("Reichswahlvorschlag") aufgestellt.
Die Kreiswahlvorschläge mussten vor der Wahl durch einen sog. "Vertrauensmann" des Vorschlags bei dem jeweiligen Kreiswahlleiter eingereicht werden. Nach der Wahl entfiel dann zunächst in den nun 35 Wahlkreisen auf je
volle 60.000 Stimmen eines jeden Kreiswahlvorschlags je ein Mandat. Die Stimmen für einen Kreiswahlvorschlag, die bei der Mandatsverteilung im Wahlkreis dabei nicht mehr berücksichtigt wurden ("Reststimmen" aus dem Wahlkreis),
konnten zunächst auf die Ebene des Wahlkreisverbands übertragen werden.
Dazu wurden alle Wahlkreise in Gruppen von ein bis drei Wahlkreisen zu insgesamt 17 Wahlkreisverbänden zusammengefasst.
In jedem Wahlkreisverband wurden die Reststimmen jedes Kreiswahlvorschlags mit den Stimmen addiert, die in den anderen Wahlkreisen des Wahlkreisverbands auf die dort mit diesem Kreiswahlvorschlag
"verbundenen" Kreiswahlvorschläge entfallen waren. Für die Verbindung von Kreiswahlvorschlägen mussten die Vertrauensleute der Kreiswahlvorschläge vor der Wahl gemeinsame
"Verbindungserklärungen" darüber abgeben, mit welchen Kreiswahlvorschlägen im Wahlkreisverband ihre Listen jeweils verbunden sein sollten. Die Reststimmen der verbundenen Kreiswahlvorschläge wurden dann summiert.
Auf je 60.000 Reststimmen entfiel dann je ein Mandat auf die Kreiswahlvorschläge in der Reihenfolge der Anzahl ihrer Reststimmen. Die Mandate, die auf der Ebene der Wahlkreisverbände erzielt wurden, wurden also
denjenigen Kreiswahlvorschlägen der Verbindung zugeteilt, auf welche die meisten Stimmen entfallen waren. Kreiswahlvorschläge, die weniger als 30.000 Reststimmen aufwiesen, erhielten generell kein Mandat, auch wenn
auf die gesamte Verbindung im Wahlkreisverband 60.000 oder mehr Reststimmen entfielen.
Für die Verbindungserklärungen gab es keine Einschränkungen mit Blick die Ebene des Wahlkreises. So konnten auf der Ebene des Wahlkreisverbands Kreiswahlvorschläge miteinander verbunden werden,
die innerhalb seiner einzelnen Wahlkreise direkt miteinander konkurrierten - die also in der Regel von unterschiedlichen Parteien aufgestellt worden waren.
Es gab aber eine Einschränkung für Verbindungserklärungen mit Blick auf die Reichsebene: Im Wahlkreisverband verbundene Kreiswahlvorschläge mussten dem selben oder keinem Reichswahlvorschlag "angeschlossen" sein, d.h.
die Reststimmen der verbundenen Kreiswahlvorschläge, die auf der Ebene des Wahlkreisverbands nicht zur Zuteilung von Mandaten führten, waren einem einzigen oder überhaupt keinem Reichswahlvorschlag zuzurechnen.
Nach der Mandatszuteilung auf der Ebene der Wahlkreisverbände konnten Reststimmen der jeweiligen Kreiswahlvorschläge aus drei Gründen verbleiben. 1) Stimmen auf einen Kreiswahlvorschlag wurden trotz Verbindung weder im Wahlkreis
noch im Wahlkreisverbandin Mandate umgesetzt. 2) Einige, aber nicht alle, Stimmmen auf einen Kreiswahlvorschlag wurden in einer Verbindung in Mandate umgesetzt. 3) Der Kreiswahlvorschlag, auf den die Stimmen entfielen,
war im Wahlkreisverband überhaupt keine Verbindung eingegangen und folglich konnten auf ihn nicht mindestens 60.000 Reststimmen entfallen.
Daher wurden in einem dritten Schritt alle Reststimmen auf der Reichsebene addiert. Dafür mussten zuerst Reichswahlvorschläge durch Vertrauensleute beim Reichswahlausschuss eingereicht werden. Die Zuordnung der einzelnen
Kreiswahlvorschläge zu den jeweiligen Reichswahlvorschlägen erfolgte danach durch Erklärung ("Anschluss-Erklärung") der Vertrauensleute der jeweiligen Kreiswahlvorschläge an den zuständigen Kreiswahlleiter. Nun entfiel
abermals auf je 60.000 Reststimmen auf der Reichsebene je ein Mandat aus dem Reichswahlvorschlag. Danach wurde für dann noch verbleibende mindestens 30.000 Reststimmen auf dem Reichswahlvorschlag ein weiteres Mandat zugeteilt.
Jedoch konnten auf einem Reichswahlvorschlag nur maximal so viele Mandate erzielt werden, wie insgesamt Mandate auf die an diesen Reichswahlvorschlag angeschlossenen Kreiswahlvorschläge in den
Wahlkreisen und in den Wahlkreisverbänden entfallen waren. Die übrigen Reststimmen blieben unberücksichtigt.
Parteien erschienen in diesem System also nur als Listen (Kreiswahlvorschläge und Reichswahlvorschläge), die durch die jeweiligen Vertrauensleute miteinander verbunden wurden. Das führte dazu, dass die Listen unterschiedlicher
Parteien miteinander verbunden sein konnten. Auch konnten unterschiedliche Parteien einen gemeinsamen Reichswahlvorschlag bilden.
Es existierte eine doppelte Hürde für die Umwandlung der Stimmen jeder einzelnen Partei in Mandate. Erstens benötigte mindestens einer ihrer Kreiswahlvorschläge entweder 60.000 Stimmen für ein Mandat auf der Ebene des
Wahlkreises oder mindestens 30.000 Stimmen dort und insgesamt 60.000 Stimmen in seiner Verbindung im Wahlkreisverband. Zweitens galt das beides für jedes einzelne Mandat, das auf dem Reichswahlvorschlag zu erzielen war.
Diese doppelte Hürde schloss die Parteien von der Mandatsverteilung aus, die zwar auf der Reichsebene vergleichsweise viele Stimmen erzielten, deren Stimmen aber so verstreut waren, dass sie in keinem
Wahklreis oder Wahlkreisverband mindestens 60.000 Stimmen erreichten. Das betraf zum Beispiel die USPD bei der Wahl im Juni 1924. Dort hätten ihr bei reichsweit 235.145 Stimmen rechnerisch vier Mandate
zugestanden. Sie erhielt aber kein einziges, weil sie in keinem Wahlkreisverband mindestens 60.000 Stimmen erzielte und damit auch kein Mandat in einem Wahlkreis erhielt.
Besonders ab 1930 verbanden daher viele kleinere Parteien ihre Kreiswahlvorschläge miteinander auf der Ebene des Wahlkreisverband. Z.B. verbanden DVP, CSVD, DHP und DBP/BBB bei der Wahl 1933 alle ihre Kreiswahlvorschläge
miteinander. Dadurch erzielte die DVP im Wahlkreisverband Sachsen mit insgesamt nur 59886 Stimmen (also 14 weniger als 60.000) ein Mandat, da auf 1) ihre mit den Kreiswahlvorschlägen des CSVD (49576 Stimmen) und der DBP
(1210 Stimmen) Kreiswahlvorschläge insgesamt 110.672 Stimmen entfallen waren (die DHP stelle in Sachsen keine Listen auf) und sie 2) im zugehörigen Wahlkreis Dresden-Bautzen mit 30.704 Stimmen die Hürde von 30.000 Stimmen
gerade so überwunden hatte. Die folglich 50.672 Reststimmen auf der Ebene des Wahlkreisverbands wurden dann dem gemeinsamen Reichswahlvorschlag von DVP, CSVD, DHP und DBP zugewiesen und trugen dort zur Zuteilung eines
weiteren Mandats bei.
Das Wahlrecht begünstigte durch die Regelung, dass auf 30.000 Stimmen auf dem Reichswahlvorschlag ein volles Mandat
entfiel, geringfügig die größeren Parteien (insbes. SPD, Z und ab 1930 die NSDAP) und die vorwiegend regional verankerten Parteien (inbes. DHP, BBB und WBWB).
Schließlich reduzierte die Regelung, dass die Höchstzahl der Mandate aus einem Reichswahlvorschlag nicht die Summe der Mandate aus den an diesen Reichswahlvorschlag angeschlossenen
Kreiswahlvorschläge übersteigen durfte, die Mandatszahl der kleineren reichsweit kandidierenden Parteien auch dann, wenn sie sie nicht vollständig von der Mandatsverteilung ausschloss.
Betroffen waren davon insbesondere die KPD 1920 (zunächst 2 Mandate statt 7 sich rechnerisch aus der Stimmenzahl ergebender Mandate, infolge eines weiteren Mandats bei der verschobenen Wahl
im Wahlkreis Oppeln 1922 dann 4 Mandate), die DStP bei der Wahl 1930 (20 statt 22), im Juli 1932 (4 statt 6) und im November 1932 (2 statt 6), die DVP 1933 (2 statt 7) sowie die VRP 1928
(2 statt 8).
Zahlreiche kleinere Parteien schlossen ihre Kreiswahlvorschläge dann auch den Reichswahlvorschlägen
größerer Parteien an - zum Beispiel die DVP dem Reichswahlvorschlag der DNVP im Juli 1932 und im November 1932, die WP dem der BVP im Juli 1932 und im November 1932 und die DStP dem der SPD 1933 -
und verminderten so rein wahlrechtlich begründete Mandatsverluste oder entgingen dem Verlust der parlamentarischen Repräsentanz. Dann mussten sie sich aber mit den Parteien, welche den jeweiligen
Reichswahlvorschlag erstellten, darüber einigen, ob und welche Listenplätze ihre Vertreter auf den "fremden" Reichswahlvorschlägen einnehmen durften. Außerdem kam es gelegentlich zu
gemeinsamen Reichswahlvorschlägen mehrerer kleiner Parteien, z.B. 1930 zwischen DLV, KVP und DHP, bei den Reichstagswahlen vom Mai 1924 bis zum November 1932 zwischen den meisten
Parteien ethnischer Minderheiten (Reichswahlvorschlag "Nationale Minderheiten Deutschlands") und, wie eben gesehen, bei der Wahl 1933 zwischen DVP, CSVD, DBP und DHP.
Zusätzlich konnten verschiedene Parteien auch in einzelnen oder allen Wahlkreisen gemeinsame Kreiswahlvorschläge einreichen. Dies war besonders dann sinnvoll, wenn sich die jeweiligen Parteien
gemeinsam zwar mindestens 60.000 Stimmen im Wahlkreisverband erhofften, wenn es aber fraglich war, ob auf jede einzelnen von ihnen in einem Wahlkreis mindestens 30.000 Stimmen entfallen würden.
Von dieser Möglichkeit machten nur sehr wenige Parteien Gebrauch, z.B. die VRP und die CSRP bei der Wahl 1930 - allerdings ohne ein Mandat zu erzielen.
Zuletzt aktualisiert: 12.09.2017
Valentin Schröder
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